Ein verlängertes Wochenende verbrachte eine Gruppe Kirchlintler Sozialdemokraten jetzt in der tschechischen Hauptstadt Prag. Das umfangreiche politische Besichtigungsprogramm beinhaltete unter anderem den Besuch des Volkshauses (Sitz der tschechischen SPD-Schwesterpartei CSSD), des Parlaments und des Senats.

Eine Führung durch die Prager Altstadt mit dem Historiker Thomas Oellermann von der Friedrich-Ebert-Stiftung veranschaulichte die Situation von SPD-Emigranten in der Zeit von 1933 bis 1938. Der Besuch der Prager Burg, dem Hradschin, rundete den dreitägigen Besuch ab.

„Wir sind der Einladung des CSSD-Parlamentsabgeordneten Lubomir Toufar, der 2015 zweimal in Kirchlinteln war, unter anderem zur 90-Jahr-Feier unseres Ortsvereins, gerne gefolgt“, freute sich Kirchlintelns SPD-Vorsitzender Hermann Meyer nach der Reise. Auch Freunde aus dem CSSD-Kreis Blansko, zu dem Letovice gehört, waren dabei.

Besonders der Besuch Parlaments sowie des Wallensteinpalais, in dem der Senat tagt, beeindruckte die Kirchlintler. Dadurch, dass Prag während des Zweiten Weltkriegs nicht beschädigt wurde, blieben die vielen alten Gebäude, in denen jetzt Politik gemacht wird, in ihrer Schönheit erhalten. Der Wallensteinpalast mit den weitläufigen Gartenanlagen stammt aus der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs und wurde im Stil des böhmischen Barocks erbaut. Seit 1992 hat der Senat hier seinen Sitz.

Nachdem 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland an der Macht waren, emigrierten vielen Sozialdemokraten ins Nachbarland Tschechoslowakei. Hier lebten damals rund 3,5 Millionen Deutsche zusammen mit Tschechen und Slowaken. Die Deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei war seit der Gründung der Tschechoslowakei 1919 mit Abgeordneten im Prager Parlament und sogar in der Regierung vertreten. Traditionelle freundschaftliche Beziehungen zur deutschen SPD waren selbstverständlich, sodass viele SPD-Mitglieder 1933 in Prag Schutz vor den lebensgefährlichen Übergriffen der Nazis suchten. Die Tschechoslowakei war zu dieser Zeit die einzige demokratische Staat Mitteleuropas. In der Emigration nannten die Sozialdemokraten ihre Partei in SoPaDe um. Druckerzeugnisse wurden nach Deutschland geschmuggelt. Dazu zählten unter anderem die „Deutschlandberichte“ der SoPaDe bis 1938, die ein wahres Bild der Situation im Deutschen Reich veröffentlichten.

Thomas Oellermann berichtete über das Leben einzelner Sozialdemokraten, die durch die sozialdemokratische Flüchtlingshilfe, die im damaligen Gewerkschaftshaus ihren Sitz hatte, unterstützt wurden. In den wärmeren Monaten war es kein Problem für die Emigranten sich zu beschäftigen, aber was sollten sie in den Wintermonaten den ganzen Tag über machen? „Manchmal hielten sie sich mehrere Stunden in den Cafés bei einer Tasse Kaffee auf“, sagte Oellermann. Das wurde von vielen Eigentümern toleriert, zum Beispiel vom Direktor der Prager Stadtbibliothek.

Martin Starec, Finanzverantwortlicher der CSSD, begrüßte und führte die Kirchlintler durch das Volkshaus, dem Sitz der tschechischen Sozialdemokratie. Das Haus hat eine lange Geschichte, wurde bereits Mitte des 14. Jahrhunderts gebaut und im Laufe der Zeit vieles gesehen, sei aber auch schon mal abgebrannt, sagte Starec. Die am 4. April 1878 gegründete CSSD kaufte 1907 das Gebäude. Bis 1948 wurde hier die sozialdemokratische Zeitung „Pravo lidu“ (Volksrecht) gedruckt. Die Beschlagnahme durch die Kommunisten 1948 endete mit der Samtenen Revolution vierzig Jahre später, und die CSSD konnte das Haus wieder ihr Eigen nennen. Mit der Okkupation durch Nazi-Deutschland habe das politische Leben seit 1938 aufgehört, meinte Starec. Bis 1930 gab es eine enge Zusammenarbeit zwischen tschechischen und deutschen Sozialdemokraten. Dass jetzt auch eine freundschaftliche Beziehung zwischen SPD- und CSSD-Ortsvereinen wie mit Kirchlinteln und Letovice besteht, sei eine Seltenheit, sagte Thomas Oellermann.

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